Ein
Mann, eine Stimme, ein Hörerlebnis!
Rabengesänge ist ein mutiges
Album, das ohne Instrumente auskommt. Oder vielmehr braucht
es zusätzliche Klangerzeuger gar nicht, denn der Künstler
Karsten Liehm verfügt über ein gewaltiges Organ mit
viereinhalb Oktaven Stimmumfang. Bis zu 200 Mal schichtet der
Stimmbandakrobat seine orchestralen Arrangements übereinander.
Manchmal klingt das Ergebnis sakral, beschwörend, dann
wieder finster und bedrohlich. Karsten begeistert mit seinem
tiefen Bass-Timbre genauso wie mit gekonntem Obertongesang.
Zu den fulminanten Ausführungen passt die Verwendung von
mehreren Sprachen, die dem Werk einen wirklich künstlerisch
erlesenen Anstrich verpassen. Deutsch, Altenglisch oder auch
Berliner Rotwelsch geben sich unter anderen die Klinke in die
Hand. Die Kompositionen eignen sich zum konzentrierten Zuhören,
ja sie verlangen dies sogar. Karsten erzählt Geschichten
von Wein, Weib und Gesang. Es kann dabei vorkommen, dass die
Stimmungen recht drastisch verändert werden. So steht an
vierter Stelle das Stück Fifteen Men, in dem ein
Piratenchor ein Fässchen Rum nach dem anderen verlangt.
Der Refrain lädt zum Mitsingen ein und gehört zu den
besten der Rabengesänge. Gleich
danach wird es mit dem Rondeau (Mort) recht traurig
– Karsten alias Castus muss seine Geliebte begraben. Die
Rabengesänge sind bombastisch
wie ein Filmsoundtrack und durch ihre höchst wertvolle
künstlerische Ausführung auch schwere Kost. Ich habe
noch nie ein a capella Album gehört und muss nach dem Genuss
des gesamten Werkes zugeben, dass die Musik zwar wunderschön,
aber dermaßen intensiv daherkommt, dass sie mich fast
erdrückt hätte :-) Manchmal packt Castus auch eine
gehörige Portion Pathos oder auch Kitsch in seine Lieder
- in einigen Fällen trägt er für meinen Geschmack
zu dick auf.
Von Metal ist dieses Werk meilenweit entfernt, aber genau das
macht den Reiz auch aus. Gerade jetzt in der stillen Zeit braucht
auch der Metalfan gehaltvolle Ruhepausen ohne auf die bekannten
Weihnachtslieder zurückgreifen zu müssen…