2020 ist als Jahr ja eher suboptimal gelaufen, und so freut man sich über jede Gelegenheit, dem Alltag ein wenig zu entfliehen. CARACH ANGREN bieten dazu mit ihrem neuen Album Franckensteina Strataemontanus eine gute Möglichkeit. Man muss des Lateinischen keineswegs mächtig sein, um zu erahnen worum bzw. um wen es dieses Mal geht (natürlich ist auch das aktuelle Album der Niederländer ein Konzeptalbum). Ich weiß nicht, ob die Idee zu diesem Album schon vor der Pandemie entstand, aber eine Geschichte darüber, wie „der Mensch“ versucht Gott zu spielen und sich gegen die Natur durchzusetzen, passt gerade erstaunlich gut.
Auf Franckensteina Strataemontanus dreht sich thematisch alles um den Mythos des Johann Konrad Dippel: Einem auf der Burg Frankenstein im Odenwald geborenen Gelehrten, Arzt, Alchemisten und Mystiker, dem nachgesagt wird, er sei die Inspiration für Mary Shelleys berühmten Dr. Frankenstein gewesen. Zwar gilt die Beweislage dafür als eher dürftig, aber egal ob Mary Shelley einmal auf Reisen an Burg Frankenstein vorbeikam, oder von den Gebrüdern Grimm darauf gebracht wurde: Ein Black Metal Album muss ja nicht zwingend den Stand der literarischen Forschung repräsentieren und darf sich ruhig sehr lose inspirieren lassen ;-)
Wie bei CARACH ANGREN üblich, ist zwar das lyrische Thema des Albums klar umrissen, musikalisch erlegen sich die Niederländer aber keinerlei Beschränkungen auf. So springt auch Franckensteina Strataemontanus recht „wild“ zwischen den verschiedensten Ausprägungen des Black Metals umher, es werden orchestrale Elemente, teilweise Industrial-artig anmutende Samples und sonstige Effekte wie auch klarer Gesang ebenso selbstverständlich verwendet wie die üblichen Instrumente.
Die Reise durch CARACH ANGRENs Version des Frankenstein-Mythos beginnt vorgeblich friedvoll mit einem vor zunächst harmlos anmutender Soundkulisse vorgetragenen Gedicht, in dessen Verlauf dem Hörer jedoch schnell klar wird, dass in Here In German Woodland ganz und gar nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Des Hinweises "little did they know, what horrors were about to come..." im nahtlos anknüpfenden ersten Stück bedurfte es dafür kaum. Den ersten Höhepunkt erreich das Album bereits mit dem Titeltrack Franckensteina Strataemontanus: Mit Gitarren, unterlegt von stampfenden, finsteren Industrial-Klängen, werden wir Zeugen der Erschaffung "der Kreatur" und des anschließend einsetzenden Größenwahns des Ich-Erzählers (Now I know how it feels to be God! I AM God!).
In der Folge wird die Geschichte mittels aufwendig arrangierter, von CARACH ANGREN-typischen symphonischen, aber nie kitschigen, sondern im Gegenteil oft schaurig verzerrten Klängen dominierter Stücke mit weitergesponnen. So verfällt der Protagonist im bis dahin schnellsten Track Sewn For Solitude nach seinem Höhenflug in Selbstzweifel (What have I done / See the creature I've become / monster to many, friend to none.). Ein Zwischenspiel in der eigentlichen Geschichte liefert Der Vampir von Nürnberg, die (überwiegend) echte Geschichte des geistesgestörten, taubstummen Kleinkriminellen Kuno Hofmann, der sich in den 1970er Jahren zunächst auf Friedhöfen, in Leichenhallen und Krematorien an Leichen verging, um zu guter Letzt zwei Menschen umzubringen und, in der Hoffnung dadurch geheilt zu werden, das Blut der Opfer zu trinken. Dass Hofmann sich dazu von Dippel und/oder Frankenstein inspirieren ließ, lässt sich nicht belegen, aber der Fall passt unabhängig davon einfach zu gut zur übrigen makabren Geschichte von Franckensteina Strataemontanus. Sänger Seregor zeigt hier, untermalt von schreddernden Gitarren und allerlei bizarren Samples, eindrucksvoll, dass er einer der vielseitigsten Sänger des Genres ist. Für deutsche Muttersprachler wirkt der Track leider wegen der teilweisen doch sehr falschen Aussprache mindestens beim ersten Hören weit weniger bedrohlich als beabsichtigt, sondern stattdessen eher drollig. Mit Like A Conscious Parasite I Roam gerät das Album wieder in weniger wildes Fahrwasser, Piano- und Streicherklänge schließen den Bogen zum ruhigen und verwunschen wirkenden Auftakt. Die Deluxe Edition weist noch einen mit 2:40 recht kurzen Bonustrack auf, auf dem dann noch einmal kräftig Gas gegeben wird - ich hätte das Stück vorgezogen, da das Album so weniger "geschlossen" wirkt.
Wie zu erwarten war, ist CARACH ANGREN erneut ein faszinierendes Konzeptalbum gelungen, das man sich ohne weiteres als perfekten Soundtrack zu einem bizarren Horrorfilm oder zu einem völlig missratenen Jahr 2020 vorstellen kann. Musikalisch abwechslungsreicher als die Grenzen des Genres es eigentlich erlauben, und eine erfrischende Abwechslung zum "handelsüblichen" Symphonic Black Metal, in dem die symphonischen Anteile leider oft viel zu dick aufgetragen werden bzw. geradezu "cheesy" daherkommen.