Eins muss
man BETHLEHEM ja lassen: diesmal haben sie wirklich eine
ganze Menge anders gemacht als auf den vorherigen Veröffent-
lichungen. Das fängt schon bei der Optik an, denn SADAW
kommt als fette Doppel-Klappcover-DCD-Box daher, komplett in
weiß gehalten und eher schlicht gestaltet. Inhaltlich wird dann
ebenfalls nicht das gewohnte (oder normale) geboten, denn neben
den neuen Tracks haben Bethlehem diese in ein Hörspiel eingebettet,
in dem eine (fiktive?) Person in die Welt hinter ihrer Wohnungstapete,
nämlich der Alexanderwelt, eintaucht, davon zunächst
fasziniert ist, hinterher jedoch nach Wegen sucht, wieder ins
reale Leben zu entkommen. Dabei trifft sie eine ganze Menge
unterschiedlicher Personen (reicht von diversen Erzengel bis
hin zum eigenen Vater) und erlebt mit ihnen verschiedene Begebenheiten,
oder es werden, teilweise sehr wirre, philosophische Diskussionen
geführt...
Wem das
jetzt recht abstrakt erscheint, der liegt damit natürlich nicht
falsch. Dabei hat sich die Band mit der Realisierung dieser
Idee wahrlich Mühe gegeben. So werden jede Menge verschiedene
Sprecher eingesetzt, und es wird nicht nur mit Dialogen, sondern
auch mit tonaler Gestaltung gearbeitet. Herausgekommen ist aber
leider zu oft nur der gut gemeinte Ansatz, zu häufig wirken
Geschehen oder Gespräche wie dem Lehrbuch des kleinen Hobbypsychoanalytikers
entnommen. Das wirkt dann halt nicht mehr schockierend oder
aufrüttelnd, sondern eher unfreiwillig komisch, zumal die Leistungen
der Sprecher auch ein zu unterschiedliches Niveau aufweisen.
Der größte Nachteil ist aber der große zeitliche Umfang, den
das Hörspiel auf dieser Doppel-CD einnimmt; der ist schlicht
und ergreifend zu lang geraten. Hier wäre weniger in der Tat
mehr gewesen!
So hat man
zuweilen fast den Eindruck, als wäre die Musik eher die Nebensache
dieser Veröffentlichung, und wer weiß, ob BETHLEHEM
sich dies nicht sogar insgeheim so gedacht haben. Was eigentlich
schade ist, denn auch musikalisch hat es im Gegensatz zu den
Vorgängern einige drastische Veränderungen gegeben. Nicht, daß
den Hörer jetzt fröhliche Partymucke erwarten würde; BETHLEHEM
sind immer noch eine sehr bedrückende Band. Aber die Mittel
hierzu sind deutlich eingängiger, weniger abrupt oder unerwarteter
geworden. Und überraschenderweise steht dies der Band extrem
gut zu Gesicht, denn obwohl die Stücke definitiv leichter zugänglich
sind (was nun nicht bedeutet, daß sie sich der Masse angepaßt
hätten), so haben sie in ihrer morbiden, dunklen Ausstrahlung
vielleicht sogar noch an Intensität gewonnen; wohl deshalb,
weil man den erzeugten Bildern nun einfach mehr Raum bietet,
sich zu entfalten und ihre Wirkung zu offenbaren. Dabei stehen
gar nicht mehr so sehr verzerrte Gitarren im Vordergrund, sondern
SADAW ist zuweilen fast schon ruhig oder bedächtig
zu nennen, ohne dabei aber von seiner abgrundtiefen Faszination
einzubüßen. Die Texte sind wie gewohnt voller Metaphern und
Anspielungen und daher nicht als gerade leicht verständlich
zu bezeichnen. Auch hier empfehlen sich durchaus Grundkenntnisse
aus einem Psychologiestudium...
Exemplarisch
könnte man hier meinen persönlichen Favoriten Maschinensohn
anführen, der im Wechsel elegische akustische Melodien und eingängige
harte Gitarren mit aufwühlenden, teilweise zweistimmigen Hooks
verbindet, genaugenommen aber mit ganzen zwei Riffs auskommt.
Hier gefällt mir übrigens auch der Text sehr gut, der in mit
interessanten Wortmalereien und einer sehr emotionalen und variablen
Gesangsleistung die Liebe zwischen Kunstgeschöpf und Erzeuger
schildert. Als weitere gelungene Beispiele könnte ich hier noch
die Stücke Rost, Wahn & tote Gleise und Mein Kuss
erstickt im Imperativ nennen. Aber genau hier ist eben auch
der Punkt, der mich halt nicht unerheblich ärgert: die Musik
ist wirklich toll, nur gibt es davon leider zu wenig auf dieser
DCD. So finden sich quasi nur 6 richtige Stücke, und davon wären
mir mehr wirklich lieber gewesen! Zwar befindet sich zusätzlich
auf jeder CD noch ein Hidden Bonus Track, doch handelt es sich
dabei jeweils "nur" um eine (gelungene) Mischung aus Ambient,
Dark Industrial und Soundtrackelementen.
Insgesamt
also eine durchaus zwiespältige Sache, die aber aufgrund der
beeindruckenden musikalischen Leistung und Entwicklung doch
noch eine Empfehlung wert ist. Wahrlich enttäuschend ist allerdings
der Internetauftritt, der außer einem Diskussionsforum und einem
Kontaktlink nichts weiter zu bieten hat...