THE VISION BLEAK haben im April ihr nunmehr viertes Album Set Sail To Mystery veröffentlicht, welches einmal mehr mit ausgesprochen guten Kritiken bedacht wurde. Da ich den ersten Teil der dazugehörigen Tour berufsbedingt leider an mir vorbeiziehen lassen musste, stürzte ich mich um so mehr auf den zweiten Part ;) Am vorletzten Tag der Herbsttour treffen sich Wiebke (Hotel666.de) und meine Wenigkeit in Co-Op mit Ulf Theodor Schwadorf vor der Show, um über das aktuelle Album, den Spagat zwischen Beruf und Familie und - natürlich - die Auferstehung von Empyrium zu quatschen, während (Live)Gitarrist Josi uns liebevoll mit heißen Kaffee (im saukalten Backstage) und den Meister mit perfekt servierten Zigaretten und Energy-Drinks umhegt und umpflegt ;)

Dajana: So, jetzt nochmal ganz offiziell: Hallo Markus ;) Heute ist der vorletzte Tag vom zweiten Teil Eurer Set Sail To Doom & Horror Tour 2010. Der erste Teil der Tour im Frühjahr mit Alcest und Fjoergyn war ja recht erfolgreich. Wie sieht’s jetzt kurz vor dem Ende der Herbsttour aus?
Schwadorf:
Der erste Teil der Tour im Frühjahr ist für uns sicherlich besser gelaufen. Wahrscheinlich auch, weil beide Bands ihre Alben grad frisch am Markt hatten und so mehr Leute gezogen haben. Aber mit dem zweiten Teil der Tour sind wir auch zufrieden. Wir hatten nur ein Ausfallkonzert dabei, in Feuchtdorf in Österreich, welches… naja… breiten wir den Mantel des Schweigens drüber. Und ich habe so meine Befürchtungen, dass es heute Abend auch nicht so dolle wird…
Dajana: Naja, so schlimm sieht’s nicht aus da draußen… 150 bis jetzt?
Wiebke: Nee, so viele sind das nicht, vielleicht 50…
Schwadorf: Ich hätte jetzt auch so mit 50 bis 100 Leuten gerechnet. Wir hatten immer so 150 Leute. Mit Ahab verstehen wir uns super, ist ne tolle Band. Mit Alcest hatten wir uns prima verstanden. Das ist auch eine Band, die ich gerne mag. Von daher sind wir – alles in allem… sehr zufrieden mit der Tour.

Dajana: Mit Set Sail To Mystery habt ihr wieder ein fantastisches Album abgeliefert. Jetzt, so n halbes Jahr später, wie waren die Resonanzen und der kommerzielle Erfolg?
Schwadorf:
Was den kommerziellen Erfolg betrifft, ist das heutzutage schwierig zu sagen, da die Plattenverkäufe weiterhin rückläufig sind und man gar nicht mehr abschätzen kann, ob das jetzt wirklich erfolgreich ist oder nicht. Also unsere ersten beiden Platten sind von den reinen Verkaufszahlen her mit Abstand am erfolgreichsten, was natürlich daran liegt, dass die Leute heute immer weniger und weniger CDs kaufen. Was sich beim neuen Album positiv ausgewirkt hat, war das Artbook, dass wir zusätzlich herausgebracht haben. Das wird von den Fans super angenommen, weil es total schön gestaltet wurde; da hat man einfach mehr in der Hand als nur die Musik, die man sich eh kostenlos im Netz zieht. Von daher sind wir mit Set Sail To Mystery sehr zufrieden. Die Resonanzen der Presse waren sehr gut und was ich so gesehen habe in den Lesercharts in den verschiedenen Magazinen, da stehen wir auch gut da. Von daher würde ich schon sagen, dass unsere neue Platte erfolgreich gelaufen ist.

Dajana: Ich persönlich empfinde Set Sail To Mystery quasi als die Essenz Eures bisherigen Schaffens. Ihr habt Euren Stil perfektioniert, alle Elemente finden sich wieder. Allerdings gibt es auch nicht mehr viel Neues. Ich würde sagen, musikalisch ist Euer Stil ausgereizt…
Schwadorf:
Hmm… weiß ich nicht. Wir haben noch nicht mit den Arbeiten am neuen Album begonnen. Das ergibt sich immer ganz von allein glaub ich. Also ich kann es jetzt nicht, ob es für mich das gleiche Gefühl ist. Wenn man selbst die Musik macht, ist das immer was anderes. Aber ich kann mir trotzdem gut vorstellen, wenn wir anfangen an neuen Songs zu schreiben… Eigentlich ist es immer so, dass der erste Song vorgibt, in welche Richtung es geht. Und ich kann mir gut vorstellen, dass wir in Zukunft mehr Songs schreiben, die in Richtung von I Dined With The Swans oder sowas machen. Also noch atmosphärischer, vielleicht weniger krachig und weniger rockig. Könnte ich mir vorstellen, weiß ich aber nicht, weil, wir haben noch nicht angefangen zu schreiben.
Dajana: Sonst würdet ihr Euch vermutlich auch nur noch wiederholen.
Schwadorf: Ja. Aber ich finde schon, dass wir auf unserem neuen Album auch drei Stücke haben, die für THE VISION BLEAK schon ziemlich ungewöhnlich sind: A Curse Of The Grandest Kind, das Intro sozusagen, was aber für mich ein eigener Song ist; dann I Dined With The Swans, sowas haben wir vorher auch noch nicht gemacht, eigentlich fast eine Ballade; und Mother Nothingness der Doom-Song. Natürlich… du wirst immer… Jeder Musiker hat seine eigene Art Songs zu schreiben, ein eigenes Melodieempfinden.

Dajana: Ok, angefangen habt ihr noch nicht, aber gibt es vielleicht schon Ideen, Konzepte in musikalischer Hinsicht?
Schwadorf:
Nein, noch gar nicht. Wir wollten jetzt erstmal nur touren. Wir haben noch ein paar Gigs bis zum Jahresende und dann schauen wir mal ganz langsam. Ohne Hektik, ohne Stress. Mal schauen was passiert. Wenn man dann einmal dran und der Funke wieder da ist, dann geht es eh immer ziemlich schnell. Schwierig ist das Reinkommen, sich Hinsetzen, anfangen, wieder verwerfen…

Wiebke: Du produzierst ja auch viel, inwieweit bekommst Du da Input?
Schwadorf:
Ich bekomme da sehr viel Input. Das macht wahnsinnig viel aus. Wenn ich Bands produziere, die ich mag, dann pick ich mir schon Elemente raus und denk, sowas könnten wir auch mal machen. Das ist schon sehr inspirierend. Aber manchmal auch lähmend, weil man den ganzen Tag mit Musik zu tun hat. Wenn ich einen Büro-Job machen würde, hätte ich abends wenn ich nach Hause komme viel mehr Lust Musik zu machen. So da hast du 8 Stunden produziert, 8 Stunden lang den Klick vom Schlagzeug gehört, da kommst du abends heim und willst alles andere machen, nur nichts mit Musik. Von daher ist so ein Studiojob beides: sehr inspirierend, weil man viele Musiker kennenlernt und deren Eigenheiten und denkt: ah, oh, so macht der das, cool, kann ich auch mal probieren oder eine Struktur von einem Song, die super funktioniert oder ein Thema, dass einem total gefällt. Auf der anderen Seite hast du aber auch so ein bisschen diesen Burn-Out, weil man wirklich die ganze zeit nur mit Musik beschäftigt ist, dass man privat dann keine richtige Lust mehr drauf hat.

Dajana: Lernst Du noch was im Studio? Also jetzt von der Studiotechnik her?
Schwadorf:
Man lernt nie aus. In keinem Beruf der Welt und auch beim Musik machen nicht. Es gibt viele schlechtere Musiker, aber viele, die besser sind als ich. Und natürlich kann man von denen noch was lernen und ich frage dann auch.

Dajana: Ihr gebt Euch als Band und musikalisch immer sehr mystisch und düster-romantisch. Inwieweit gibt es da Parallelen zu Eurem Privatleben?
Schwadorf:
Eigentlich gar nicht. Ich erklär das immer so: Ich find Menschen, die keinen Abgrund haben, sind total langweilig. Und jeder Mensch hat, glaube ich, seinen Abgrund. Es gibt Leute, die leben den nicht aus, und andere schaffen das eben. Und mich ist diese Beschäftigung mit diesen düsteren Themen ist für mich wie ein Ausgleich zum Privatleben. Privat bin ich ein total fröhlicher Mensch, der Spass am Leben hat. Ich habe zwei Kinder daheim und stehe im Leben. Und diese Beschäftigung mit der dunklen Seite oder mit dem eigenen Abgrund ist für mich der Weg, wie Ying und Yang, in Balance mit mir selbst zu bleiben. Auch den Abgrund zu schätzen, sich wirklich damit zu befassen und nicht einfach beiseite zu schieben. Das ist wie im Irrenhaus, die singen alle Hallelujah, weil sie verzweifelt nach Balance suchen. Da sing keiner traurige Lieder…

Dajana: Alle 4 Alben basieren auf Horrorliteratur und Horrorfilmen mit Vorliebe von H.P. Lovecraft, Lord Byron, A.E. Poe, William Blake, wobei Lovecraft ja nun ziemlich abgegrast ist… Wo findet ihr neue Beute?
Schwadorf:
Also ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das neue Album wieder eine konzeptionelle Geschichte wird. Ich lese gerne und viel, wenn es denn Job und Familie zulassen, was leider viel zu selten der Fall ist. Es gibt z.B. eine Geschichte von Algernon Blackwood die ich wirklich liebe, A Descent Into Egypt, wo ich mir vorstellen kann, dass man die als Vorlage nimmt und das dann vertont. Aber wie gesagt, ich hab noch keinen Plan.

Wiebke: Wie sieht es aus so mit technischen Dingen? So mit Zeppelinen oder alte Flugzeuge?
Schwadorf:
Nee, ich bin nicht so der Technik-Freak.
Dajana: THE VISION BLEAK im alten Doppeldecker…
Schwadorf: Mit so alten Fliegermützen…
Dajana: Für’s Cover muss mal was anderes her… genau… ein Zeppelin…
Schwadorf: Schiff hatten wir, Kutsche auch… vielleicht die ersten Autos oder so…

Dajana: Ein Thema muss unbedingt auf den Tisch…
Schwadorf:
Hahaha… ja klar
Dajana: Empyrium ist zurück! Viele wird es freuen… Ich schätze, die Newsmeldung hat eingeschlagen wie eine Bombe.
Schwadorf: Ja, ich glaub schon. Also wenn ich auf die Prophecy Facebookseite schau oder andere… da waren schon wahnsinnig viele Einträge dazu. Ich merk es ja auch auf Konzerten, wie oft ich darauf angesprochen werde. Am Anfang hat es mich genervt muss ich sagen, aber mittlerweile habe ich verstanden, wieviel diese Band den Leuten bedeutet. Und das ist eigentlich ein sehr schmeichelhaftes Gefühl. Mittlerweile rede ich wieder gern drüber und ich mach es ja auch wieder. Es macht mir wahnsinnig viel Spass. Wir hatten ja von Prophecy die Anfrage bekommen, ob wir einen Song (The Days Before The Fall) für die Compilation machen wollen (Whom The Moon A Nightsong Sings). Ich war am Anfang skeptisch, weil dann ja auch direkt die Erwartungshaltung der Leute wieder aufflammt. Dann dachte ich, lass es uns tun, auch wirklich als Test um zu sehen, wie es sich anfühlt. Lügt man sich in die Tasche und macht es nur aus irgendwelchem Grund und es gefällt einem gar nicht… Aber nee, es hat sich gut angefühlt! Es gibt diesen einen Song, und noch einen anderen, und es gibt noch viele Ideen für mehr Songs. Es ist ne andere Richtung und trotzdem hat es viel von den Trademarks was Empyrium ausgemacht hat. Aber es wird auf keinen Fall eine Wiederholung von dem, wo wir aufgehört haben.

Dajana: Und… was ein neues Album angeht, habt ihr Euch ja sehr nebulös geäußert… gibt es schon so was wie einen Zeitrahmen, so Pi mal Daumen?
Schwadorf:
Nee, das kann ich wirklich nicht sagen. Das kommt auf so viele Dinge an und ich will mir da auch keinen Druck machen. Ich hab für mich den Anspruch, dass ich bei allem was ich mache damit zufrieden sein muss. Und gerade Empyrium ist ein Pflänzchen, dass gehegt und gepflegt werden muss. Wenn ich jetzt nach 10 Jahren mit etwas ankomme, mit dem ich selbst nicht zufrieden bin, dass sich nicht perfekt anfühlt, dann weiß ich, dass das auch die Fans merken werden. Und das will ich nicht.

Dajana: Du bist ja zum zweiten Mal Vater geworden, wird es demnächst eine längere Pause in Euren Aktivitäten für die Familie geben?
Schwadorf:
Nee, kann ich nicht *Gelächter* Aber ich beschäftige mich natürlich schon viel mit meiner Familie, hab feste Studiozeiten und arbeite ganz normal wie jeder andere auch, von 9 – 18 Uhr. Dann ist auch wirklich Schluss mit dem Studio, dann geh ich nach Hause und bring meine Kinder ins Bett. Aber eine längere Pause… das könnte ich gar nicht. Ich brauche diese Beschäftigung, ich werd sonst total hibbelig.

Dajana: Du bist bekanntermaßen ein großer Fan von Dead Can Dance. Verfolgst Du noch so, was Lisa und Brendan dieser Tage veröffentlichen?
Schwadorf:
Also ich hab mir gestern noch die Ark von Brendan Perry gekauft. Ich hab sie allerdings noch nicht gehört…
Dajana: Ich kann Dir sagen, das Album ist toll. Ich hab es kürzlich rezensiert, das wird Dir ganz sicher gefallen.
Schwadorf: Ich hatte bisher nur den Teaser gehört, und der war gigantisch. Außerdem liebe Brendan Perry‘s Stimme. Für mich ist das einer der besten Sänger überhaupt. Wenn er den Mund aufmacht, dann klebe ich am Lautsprecher. Dieser Mann hat solch eine Aura in der Stimme, einfach unglaublich. Brendan Perry und Nick Cave, das sind so meine Lieblingssänger.
Dajana: Oh, dann hast Du wahrscheinlich Nick Cave live grad nicht gesehen, der war mit Grinderman auf Tour.
Schwadorf: Nee, ich gehe selten auf Konzerte, schon weil ich auch in einer Gegend wohne, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.
Dajana: Dann warst Du wohl auch nicht beim Dead Can Dance Konzert damals in Köln (2005)?
Schwadorf: Nein, leider nicht. Aber da wäre ich hingefahren, wenn ich es denn nicht total verpasst hätte. Mir hat keiner Bescheid gesagt... Lisa Gerrard verfolge ich da weniger, obwohl ich ihre Stimme liebe. Der bessere Songwriter ist natürlich Brendan Perry ;)

Dajana & Wiebke: Ok, dann wären wir am Ende mit unseren Fragen. Jetzt kannst Du noch ein bisschen Deine Stimme schonen und Dich von Josi pflegen lassen und wir sehen uns dann gleich beim Konzert ;)

 

11/2010 © Dajana Winkel • The Vision Bleak