Eine der interessanteren Neuerscheinungen der letzten Wochen im doch recht überlaufenen Electro-Bereich lieferte in meinen Augen die Ein-Mann-Band RECTOR SCANNER ab, deren Debüt Vocoder sich doch wohltuend vom sonstigen Einheitsbrei abheben konnte. Zwar reichte es noch nicht für den ganz großen Wurf (siehe Review), aber immerhin blieb Mainman Agro gekonnt und variantenreich außerhalb des derzeit üblichen Future Pop-Gedudel und konnte sich dabei sowohl musikalisch als auch textlich positiv vom derzeitigen Trendgeschehen gerade innerhalb der deutschen Szene (z.B. Blutengel o. Terminal Choice etc.) absetzen.
Grund genug also, Agro einmal etwas näher auf den Zahn zu fühlen, wobei das Interview aus Zeitgründen meinerseits leider nur per Mail stattfinden konnte.

Agro


Michael: Hallo Agro! Erst mal herzlichen Glückwunsch zu Deiner ersten offiziellen Veröffentlichung. Wie bist Du im Nachhinein selber mit Vocoder zufrieden?
Agro:
Hallo Michael, Dankeschön. Deine Fragen starten ja gleich durch. *lach*
Ich bin mit der Vocoder sehr zufrieden, das Album klingt genau so, wie ich es konzipiert habe. Ich höre die CD noch immer sehr gern, auch wenn einige Songs bereits über 2 Jahre alt sind. Im Nachhinein würde ich einige Sachen etwas anders produzieren. Vocoder ist ein würdiger Abschluss der vergangenen 2 Jahre, sowohl in musikalischer, als auch in emotionaler Sicht. Ich weiß daher auch, dass es kein zweites Album geben wird, welches so klingen wird. Ich glaube, viele Hörer der ersten offiziellen RS-CD waren etwas erstaunt, dass sie für ein Debütalbum sehr ruhig und bedächtig ausgefallen ist. Bei einem Debütalbum gehen die geneigten Hörer oftmals davon aus, dass ein Projekt oder eine Band hier den Dampfhammer schwingt und allen zeigt, wo die Harke hängt. Momentan wirft die „Szene“ mit BPM-Geschützen nur so um sich, ich hatte da einfach keine Lust drauf, mich einzureihen. Vocoder ist elektronische Kopfmusik, EHM *lach*, mir ist durchaus bewusst, dass die Scheibe in den Clubs der Nation nicht zum Pflichtprogramm wird. Vocoder zielt vielmehr auf den Hörerkreis, der sich mit einem Album nicht nur oberflächlich beschäftigt, sondern sich viel Zeit nimmt, sich in die Atmosphäre hinein zu denken und nach und nach Songs zu entdecken.

Michael: Was hat sich denn seit dem Release alles getan?
Agro:
Als direkte Folge der Veröffentlichung hat sich eigentlich nicht viel verändert. Zeit ist ein wichtiger Faktor und mit den vielen Interviewanfragen, Konzertanfragen, Samplerbeiträgen, Remixen für andere Künstler sind doch schon Veränderungen spürbar. Es ist schon seltsam, ich kenne ja nun wirklich viele Bands persönlich, angefangen bei Armageddon Dildos bis hin zu Oomph!, als Musikschaffender wird man erst so richtig ernst genommen, wenn man einen Plattendeal in der Tasche hat. Das finde ich ziemlich interessant, man müsste das mal psychologisch hinterfragen. Es ist wohl das „jetzt gehört er dazu“ Feeling… ach was weiß ich.

Michael: Wie ist denn der Kontakt mit Pandailectric zustande gekommen? Du bist schließlich der erste Act auf diesem Label...
Agro:
Es gibt zwei Varianten, wie der Kontakt zustande kam. Variante 1. Ich schickte an einige Labels eine Demo-CD der Vocoder. Pandailectric meldeten sich dann und sagten zu. Variante 2: Ein Bekannter spielte eine besagte Demo-CD jemandem aus dem Pandai-Umfeld vor und daraufhin meldeten sich Pandailectric bei mir. Wahrscheinlich ist eine Kreuzung aus beiden Varianten die Wahrheit.

Michael: Warum hat es Dir der Vocoder so angetan?
Agro:
Ich bin seit frühester Kindheit, das heißt, seit dem ich bewusst Musik wahrnehme, Kraftwerkfan. Das muss mich doch so doll geprägt haben, dass ich mir meine „Vocoder“-Version für meinen ersten offiziellen Output aufgespart habe. Ich kann es nicht genau begründen, aber Vocoderstimmen haben etwas geheimnisvolles, sie verbergen etwas. Sie scheinen Emotionen zu negieren geben doch enorm viel Gefühl. Daher auch der Titeltrack Vocoder: „Um zu verbergen was mich rührt...“

Michael: In Deinen Stücken hört man dann ja neben anderen auch einen nicht unerheblichen Kraftwerk-Einfluss heraus. Glaubst Du, dass dies auch von der Generation jüngerer Electro-Hörer so wahrgenommen wird?
Agro:
Ich habe mittlerweile eine Menge Feedback zur Vocoder bekommen. Die Meinungen driften sehr weit auseinander, von „Genial und unverbraucht“ über „mal was erfrischend anderes“ bis hin zu „noch ne Kraftwerk-Kopie brauchen wir nicht“ und „noch einer, der auf den Retro-Zug aufspringt“. Einige behaupteten, RECTOR SCANNER klänge „kalt“ andere meinten „angenehme warmklingende Analogklänge“. Irgendwie sehr kontrovers das ganze … Mir ist das eigentlich egal, die Mehrheit der Resonanzen ist positiv, im Übrigen finde ich nicht, dass die Vocoder so stark nach Kraftwerk klingt, abgesehen von World Wide Web, aber dieser Song ist auch nur als Hommage an Kraftwerk zu sehen.

Michael: Auf Deiner Homepage findet sich ein neues Stück namens Hass mich – Against War. Zumindest in meinem .mp3-Player lautet der Titel aber dann auf einmal Anti-Bush-Song. Warum dieses kleine Verwirrspiel?
Agro:
Hass mich war ursprünglich ein Track, der auf der Vocoder enthalten war. Er passte nicht in das Konzept der CD, darum flog er raus. Live funktionierte er ganz gut, vielleicht bleibt er im Liveprogramm. Warum in deinem mp3-Player der Track Anti-Bush-Song steht, weiß ich auch nicht. *lach* Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass „Anti-Bush-Song“ ein zu platter Titel ist. Klingt einfach zu Greenpeace-mäßig… genau wie „Rettet die Wale“ Bitte verstehe mich nicht falsch, ich finde Wale durchaus süß, nur zum kuscheln etwas zu groß. George Bush ist in meinen Augen ein reaktionärer Kriegstreiber mit debilem Dackelblick. Die Samples in Hass mich stammen aus den ersten Kriegberichterstattungen vom Irakkrieg. Bush ist nur Spiegelbild der heutigen politischen Gegebenheiten, Aushängeschild einer Politik, welche uns einen „sauberen, ethisch einwandfreien“ Krieg liefert, in dem die unschönen Bilder retuschiert wurden. Ich wollte mit Hass mich nicht den erhobenen Zeigefinger schwenken, ich wollte nur eine unangenehme Grundstimmung schaffen, ein laues Gefühl im Bauch, passend zu den Bildern im Fernsehen.

Michael: In Deinen Texten finden sich ja manche politische und soziale Themen. Wie wichtig ist Dir die Beschäftigung mit diesen Bereichen? Bist Du da auch außerhalb von RECTOR SCANNER engagiert?
Agro:
Ich bin ein sehr politisch denkender Mensch. Mein Beruf als Lehrer bringt es mit sich, dass ich soziale und politische Themen aufgreife, oder mich zumindest mit diesen Thematiken auseinander setze. Meine politischen Aktivitäten beschränken sich jedoch auf Diskussionen und Meinungsäußerungen.

Michael: Hast Du jemals daran gedacht, Texte auch in englischer Sprache zu schreiben?
Agro:
Nein. Warum sollte ich das tun? 95 Prozent der Kommunikation läuft in meinem Umfeld in der deutschen Sprache ab, warum sollte ich auf einmal eine andere Sprache nutzen? Wenn mir eine Vokabel fehlt, müsste ich sie womöglich mit einem anderen Wort ersetzen, die Metapher wäre dahin. Ich kann mich in meiner Muttersprache exakt ausdrücken, im Englischen klopfe ich nur Phrasen und keiner hört hin.

Michael: Im Info zu Vocoder heißt es, befreundete Musiker hätten Dich am Anfang mit „Equipment-Spenden“ unterstützt. Was ja auch nicht so alltäglich sein dürfte... Wie ist es dazu gekommen, und planst Du, von Deinem eigenen Equipment ebenfalls etwas an bedürftige Musiker weiterzugeben?
Agro:
Ja das ist korrekt. Torben von Lights Of Euphoria vererbte mir einen Synthesizer, genau wie Mike von Klirrfaktor, der mir seinen Korg Poly 800 feierlich übergab. *smile* Wie es dazu kam, weiß ich auch nicht so recht, wahrscheinlich hatten die beiden Mitleid mit mir, oder sie wollten, dass ich mal endlich anfange, richtig Musik zu machen.

Wenn es soweit ist, werde ich vielleicht meinen Yamaha verschenken, aber bis dahin muss ich mir erstmal noch so viele Hardware-Geräte kaufen, bis ich keinen Platz mehr im Studio habe.

Michael: Bewältigst Du Live-Auftritte alleine, oder wirst Du dabei noch von anderen Musikern unterstützt? Setzt Du dabei nur auf die Musik, oder verwendest Du auch visuelle Mittel?
Agro:
Auf der Bühne werde ich 2 Keyboarder haben, gesponsort von einer befreundeten Band. Über visuelle Geschichten habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Michael: Du hast ja schon eine ganze Reihe an CDs in Eigenregie veröffentlicht. Wird das darauf enthaltene Material noch in irgendeiner Form „offiziell“ erscheinen, oder sind für die nächste CD nur neue Stücke geplant?
Agro:
Den alten Kram wird es definitiv niemals auf CD geben. Vielleicht stelle ich irgendwann mal alte Tracks online zum download.

Das Nachfolgealbum wird den Titel Herzschlag tragen. Während der Vocoder die maschinelle Seite darstellt, gibt Herzschlag dem Menschen Raum. Thematisch tendiert Herzschlag zu ganz menschlichen Eigenarten und den damit verbunden Themen: Sex, Liebe, Eifersucht. Ich habe bereits einen Großteil der Songs im Kasten. Es klingt mehr denn je nach RECTOR SCANNER, allerdings solltest du den Vocoder vergessen. Er wird nur in einem Song erklingen. Das neue Album wird sehr tanzbar, aber auch vielfältig, Breakbeat, Drum’n’Bass, Retro, EBM-Anleihen…

Michael: Was für Pläne hast Du für die weitere Zukunft?
Agro:
Musikalisch gesehen möchte ich mit RECTOR SCANNER vielen Hörern Freude bereiten, natürlich tolle CD’s veröffentlichen, ein paar schöne Livekonzerte geben. Ich möchte mit meiner Zweitband Armageddon Dildos (wo ich live als Keyboarder tätig bin) noch mal in diesen komischen Londoner Pub, bei besserem Wetter zum Tower schlendern und in die Salvador Dali Ausstellung gehen.

Michael: Any last words?
Agro:
Bei den obligatorischen letzen Worten verfällt man oftmals in tiefsinnige Wortgeflechte. Ich versuche das mal zu vermeiden. *grübel*

Ich mache das mal ganz einfach: Ich bedanke mich bei allen, welche mein Leben bereichert haben, mir geholfen, mich unterstützt haben, mir Freude bereitet haben, mich zum Lachen brachten.
Ich hoffe, ich kann euch das in irgend eine Weise einmal zurück geben, ich versuche es mit der Musik.

Agro

 

4/2004 © Michael Cichocki • Rector Scanner