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Nachdem COPPELIUS seit einiger Zeit für Furore, insbesondere im Berliner Untergrund sorgen und ich nicht nur von ihrer Promo CD sehr beeindruckt war, sondern COPPELIUS auch Band des Monats Juli sind, ist es an der Zeit, mal diese altehrwürdige Konstellation genauer unter die Lupe zu nehmen, gibt es doch einiges zu entdecken und zu erforschen...

Coppelius

Dajana: Ihr seid als Zweitplazierte aus dem Emergenza Bandwettbewerb zu Berlin hervorgegangen, obwohl Ihr den Stimmen nach eigentlich die Gewinner hättet sein sollen und irgendwie seid Ihr das ja auch. Seid Ihr enttäuscht? Was hat Euch dieser Wettbewerb bis heute tatsächlich eingebracht?
Comte Caspar:
Der Emergenza Bandwettbewerb als Forum für Kapellen populärer, mit galvanischen Gitarren erzeugter Tanzmusik, zieht ein großes Publikum an. Diesem konnten wir, obwohl es weder von uns herbeigerufen, noch auf uns vorbereitet war, gehörig den Kopf verdrehen und ihm die wahren Wurzeln der heute so populären Musik aufzeigen. Und wie Sie schon richtig sagten: Wir haben die meisten Stimmen bekommen, und zwar von denen, für die wir spielten - was interessiert es da noch, was irgendeine Jury bestimmt ?
Lindorf: Die Columbiahalle war erneut ein uns geneigter Ort, unsere Schau einem weiten Publikum darzubieten. Sicher wäre es uns nach dem berauschenden Konzert in der Columbiahalle eine Ehre gewesen, Berlin auf dem Europafinale würdig zu vertreten, dennoch waren wir im Finale in erster Linie auf der Bühne, um dem Publikum Satisfaktion widerfahren zu lassen.

Dajana: Trotz Eurer mehr als hundertjährigen Geschichte trat das Phänomen COPPELIUS erst kürzlich zutage und das ausschließlich im Berliner Raum. Womit habt Ihr die Jahrhunderte bisher so totgeschlagen?
Comte Caspar:
Es tut mir außerordentlich leid, aber ich glaube, dass ich Sie, werte Dajana, da ein klein wenig korrigieren muss: Wir hatten eine blühende Zeit voll von wunderbaren Konzerten, bis wir im 20.Jh oft pausieren mussten, da einer unserer Tenöre von einigen rauscherzeugenden Scherzen stark in Mitleidenschaft gezogen war. Seit kurzer Zeit jedoch hat sich sein Wohlbefinden beträchtlich gebessert, so dass wir langsam wieder beginnen, Konzerte zu geben. Sein Zustand hat sich inzwischen sogar so weit stabilisiert, dass wir schon einige Ausflüge unternommen haben, die wir auch ausdehnen werden.

Dajana: Einem galvanischen Interview war zu entnehmen, das Euer erstes Zusammentreffen mit der Guillotinierung von Ludwig den XVI. am 21.01.1793 zusammenfiel. Wart Ihr auch bei der Hinrichtung seines Eheweibes zugegen? Was hat Euch damalig zu diesem Ereignis geführt? Und wie habt Ihr die Wirren der französischen Revolution erlebt?
Comte Caspar:
Aus Protest gegen grundlose Hinrichtungen blieben wir der Enthauptung von Marie-Antoinette fern. Unter anderem haben wir deswegen einen heftigen Streit mit Maximilien de Robespierre angefangen, welcher sich dafür verantwortlich zeigte. Nun, wie diese Meinungsverschiedenheit ausgegangen ist, sollte gemeinhin Geschichte sein...
Max Coppella: Das Interessanteste an dieser Zeit war die Mode. Man konnte plötzlich ohne Perücke flanieren, aber es stimmt: Vielen wurde damals mit der Perücke gleich der Kopf abgenommen.

Dajana: Euer geistiger Vater ist E.T.A. Hoffmann, der viele Jahre in Berlin gelebt hat. Was hat Euch bewegt, ihn als Euren Ziehvater zu erwählen, dessen Sprache und literarischen Ergüsse alles andere als einfach zu konsumieren sind, insbesondere im Hinblick auf den geneigten Hörer und Konsumenten oder auch Fan Eurer musikalischen Darbietungen in dieser (für Euch futuristischen) Zeit?
Lindorf:
Sich den gewöhnlich zu konsumierenden Kunstformen der damaligen Zeit einfach anzuschließen, war uns zuwider, da wir es uns schon immer bevorzugt haben, uns ein wenig vom allgemeinen Strom der Zeit abzuheben.
Comte Caspar: Ich weiß nicht, ob es richtig ist, Herrn Hoffmann als unseren "geistigen Ziehvater" zu bezeichnen - sicherlich hat er uns zu einigen tiefsinnigen Überlegungen veranlasst, doch vor allem waren wir Sandkastenfreunde. Wir machten ein Spiel daraus, uns gegenseitig Sand in die Augen zu streuen. So schrieb er auch die Geschichte "Der Sandmann", in der deutlich unser Einfluss zu spüren ist - er hat darin sogar unseren Namen verwendet.

Dajana: Ihr seid COPPELIUS (Figur aus Hoffmann’s Erzählung Der Sandmann), eine äußerst garstige Verkörperung böser Machenschaften. Widerspiegelt Ihr die verschiedenen Aspekte dieser ... Person? Seid Ihr der Sandmann oder das böse feindliche Prinzip? Was hat Euch bewogen, Euch selbst in einer so garstigen Person neu zu definieren? Welch schändliche Taten habt Ihr sonst noch begangen?
Comte Caspar:
Nein nein, da muss ein Irrtum vorliegen! Wir sind weder garstig noch böse. Im Gegenteil: Immer auf den guten Ton bedacht, wahren wir den Anstand, und haben zum höchsten Ziel, unser Publikum mit sittlichem Anspruch zu erfreuen.
Lindorf: Zudem liegt hier eine kleine Verwechslung vor: Die Figur Coppelius ist nach dem Entstehen der Gruppe von Hoffmann in seine Geschichte integriert worden. Man müsste also Herrn
Hoffmann fragen, warum er Coppelius so und nicht etwas näher an uns orientiert hat.
Max Coppella: Das einzige, was uns mit dem Coppelius aus Hoffmanns "Sandmann" verbindet, ist eine derbe Hässlichkeit, die er sich von Sissy Voss abgeschaut haben muss (inzwischen haben wir eine Visagistin engagiert, die dem entgegen wirkt).

Dajana: Eure zugegebenermaßen enorme Langlebigkeit wird der Existenz einer Zeitmaschine zugeschrieben, mit der Ihr Euch wohl aus dem 19. Jahrhundert in das Zwanzigste habt katapultieren lassen. Wo steht diese und funktioniert sie auch andersherum? Welch teuflischer Plan steckt letzten Endes dahinter, die Zukunft zu begehren und in diesen unruhigen Zeiten insbesondere der Damenwelt mit Eurer Erscheinung den Kopf zu verdrehen?
Comte Caspar:
Ja, die Damenwelt, da haben Sie ein spannendes Thema angeschnitten! Es war uns immer innigste Freude und höchster Lohn, wenn ein sittsames Fräulein vor sinnlichem Genuss der zarten Töne vor Scham leicht errötete. Vielleicht nur ein kleines Detail, doch es ist uns nie entgangen, und war uns immer mehr wert als schwunghaft auf die Bühne beförderte Blumen und gewisse Kleidungsstücke, die ich hier nicht näher ausführen will, falls sich unter den geneigten Lesern noch Minderjährige befinden sollten.

Dajana: Lasset uns nun über Eure Musik ein paar Worte verlieren ... Ihr habt mit einem Eurer Songs (The Phantom Of The Opera) ein Thema von Iron Maiden aufgegriffen, während die anderen zwei Stücke auf Eurer Promotion Veröffentlichung Euren eigenen Federn entstammt. Warum gerade Iron Maiden? Was erwartet uns zukünftig? Welch andere Künstler metallischer Kunst würdet Ihr sonst noch gern interpretieren?
Comte Caspar:
Iron Maiden sind eine sehr talentierte, junge Nachwuchsgruppe aus Britannien. Da wir wissen, wie schwer es ist, der eigenen Musik auch auf benachbarten Kontinenten zur Beachtung zu verhelfen, haben wir es uns zum Ziel gesetzt, ihnen ein wenig unter die Arme zu greifen. Schließlich haben sie schon weit mehr als ein Dutzend Demo-CDs aufgenommen! Und damit sie nicht mehr all zulange auf ihren endgültigen Durchbruch warten müssen, beweisen wir der Hörerschaft, dass auch junge, unerfahrene Musiker durchaus herzhaft musizieren können. Durch den Erfolg, den Iron Maiden inzwischen durch uns erlangte, sind auch andere Nachwuchsgruppen an uns herangetreten, mit der Bitte, ihrer Musik etwas Gehör zu verschaffen. So erhielten wir vor kurzem Depeschen von AC/DC (einer Australischen Schülerband), Led Zeppelin (die für ihr Alter eine beträchtliche Erfahrung mit leichten Drogen aufweisen können) und Kiss (welche sich mit Liebesliedern in Lagerfeuerromantik befassen) und einigen anderen. In vielen von ihnen steckt das Zeug zum Erfolg, und ich denke, dass es nur gerecht wäre, wenn wir auch ihnen zu ein wenig Bekanntheit verhelfen würden.

Dajana: Inwieweit vermögt Ihr Planungen zu einer ordentlichen Veröffent- lichung enthüllen?
Comte Caspar:
Nach einigen Experimenten mit photovoltaischen Gerätschaften ist es Senhore Spalanzani gelungen, eine Folge von bewegten Bildern aufzuzeichnen. Er entwickelte daraus eine Apparatur, mit der unser Butler die Stimmung auf einem unserer letzten Konzerte in Berlin sehr treffend einfangen konnte. Dies wird der wichtigste Teil unserer nächsten Veröffentlichung, doch es wird noch einige Zeit benötigen - die photovoltaischen Platten müssen erst noch entwickelt werden.

Dajana: Um Euch musikalisch einzuführen gibt es Referenzen zu Apocalyptica (meine Wenigkeit tat dies auch), die eigentlich ja gar nicht so passend sind. Ich selbst hab Euch der Kammermusik zugeordnet. Wo seht Ihr Euch selbst bezüglich Eurer Stilistik?
Lindorf:
Jeder Musikstil ist vom Namen her nur dadurch entstanden, dass die Zuhörerschaft sich gedanklich dessen angenommen hat. Lassen Sie uns hören, was man sich zu unserer Kammermusik einfallen lassen wird.

Dajana: Wann gedenkt Ihr uns mit Euren Darbietungen außerhalb Berlins zur ursprünglichen Ekstase verwildern zu lassen?
Comte Caspar:
Nachdem wir in Berlin die Messe des technologischen Fortschrittes (03.09.03 IFA ) musikalisch begleitet haben, werden wir uns auf einen Ausflug ins Mecklenburgische (20.09.03 Teterow) begeben, und auf der Rückreise in Potsdam (27.9.03 Spartakusclub Potsdam) Halt machen. Im Winter begeben wir dann auf einen weiteren Ausflug, der uns über Potsdam (25.12 oder 26.12. im Lindenpark zusammen mit Mila Mar) im Januar dann noch einmal nach Annaberg-Buchholz führen wird. Einzelheiten dazu und weitere Daten werden im Galvanische Netz
(www.coppelius-band.de) bekannt gegeben.

Dajana: Welche Aspekte erfreuen Euch besonders in dieser aktuell geschichtlichen Epoche?
Comte Caspar:
In dieser Zeit wird kaum mehr Musik auf Instrumenten gemacht, selbst die allerorts üblichen Gitarren weichen immer mehr zugunsten galvanischer Rechenmaschinen, bei denen mehr Relais programmiert als Töne gespielt werden, um Musik zu erzeugen. Doch ist es in dieser an sich traurigen Situation eine große Freude, mitzuerleben, wie das Publikum es zu schätzen weiß, dass die Musik, welche bei uns zu hören ist, in demselben Moment ihres Erklingens auf echten Instrumenten gespielt wird. Zudem wird es niemals gelingen, einen schön angeblasenen Ton mit etwas anderem als einem Blasinstrument zu erzeugen, so dass er einem wirklich zu Herzen geht...
Lindorf: ...oder einen fein gestrichenen Akkord mit etwas anderem als einem Streichinstrument, oder erleben Sie nur, wenn eine eineinhalb Meter lange Kontrabaßsaite sich zu sichtbarer Schwingung auf dem Weg macht! Es lebe das echte Konzert!

Dajana: Nun gehen mir die Fragen aus, deshalb seien Euch die klassischen letzten Worte gewährt, in denen Ihr nun alles enthüllen könnt, das Euch auf Euren Herzen liegen mag. Zurückblickend auf solch eine lange Epoche sollten sich doch sicherlich ein paar verruchte Anekdoten finden lassen. Derweil bedanke ich mich artig für aufgewendete Zeiten und Mühen, diesem galvanischen Gespräch einen Sinn zu geben ;-)
Lindorf:
Man hat vor ein-, zweihundert Jahren ein kürzer währendes Leben geführt und dennoch länger gelebt. Es erfüllt uns mit außerordentlicher Freude, mit unseren Konzerten mancherorts einer diesbezüglichen Renaissance zu verhelfen.
Comte Caspar: Unser Lebenswandel ist keineswegs so ausschweifend, wie immer vermutet wird, das meiste an empörenden Geschichten über uns ist reine Verleumdung. Z.B. fürchteten sich viele junge Damen am Ende des 19.Jh, unsere Konzerte zu besuchen, weil ein nur auf Sensation bedachter Schreiberling behauptete, beweisen zu können, dass Sissy Voss´ Baßsaiten aus Menschen- gedärm bestehen sollen. Wie lächerlich! Das alles nur erfunden ist, zeigt sich schon daran, dass nie die Überreste der vier armen Mädchen gefunden wurden, und Sissy Voss sowieso ein viel zu zarter Charakter ist, um solche Greueltaten zu vollbringen.
Doch trotz aller schändlichen Geschichten war es immer ein Hochgenuss, in einem ausverkauften Opernhaus zu spielen!
Es ist nur sehr schade, dass ein Großteil unserer Anhängerschar einfach nicht mehr am Leben ist, so könnte man fast von einem Neubeginn sprechen.

Dajana: Nun denn, jeder Interessierte ist herzlichst eingeladen, das galvanische Zuhause dieser gar nicht gartsigen und bösen Herren aufzusuchen und sich näher zu informieren. Das Hinterlassen einer Depesche im Gästebuch würde insbesondere den Butler erfreuen ;)

 

08/2003 © Dajana Winkel • Coppelius